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Interview: Kilian Evang (GSV) über verrockene Wörter

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sagso hat mit Kilian Evang (im Bild ganz rechts) von der Gesellschaft zur Stärkung der Verben gesprochen:

sagso: Du bist ein junger Computerlinguist, der sich in der Freizeit für Sprache einsetzt: genauer gesagt für Schwache Verben. Was bedeutet die Existenz dieser „Schwachen“ für uns?

Kilian Evang: Sie bedeutet, dass unsere Sprache weniger blumig ist, als sie sein könnte. Die Mehrheit der deutschen Verben ist schwach, d.h. sie bilden  ihre Vergangenheitsformen (Präteritum und Partizip II) durch Anhängen von „-te“ bzw. „-t“ an den Verbstamm: erben/erbte/geerbt, teilen/teilte/geteilt, beleidigen/beleidigte/beleidigt usw. Das ist ganz schön eintönig. Starke Verben haben vielfältigere Vergangenheitsformen, weil sich da ihr Stammvokal verändert: sterben/starb/gestorben, singen/sang/gesungen, fallen/fiel/gefallen usw.

sagso: Wie helft ihr ihnen?

Kilian Evang: Indem wir sie zu starken Verben machen, also neue Vergangenheitsformen erfinden (oder ausgestorbene wiederbeleben), bei denen sich der Vokal auf individuelle Weise verändert. Zum Beispiel: erben/arb/georben, teilen/tiel/getielen, tauschen/tosch/getoschen.

Das ist aber nur der Anfang. Für manche Verben erfinden wir noch verrockenere Formen. Z.B. werden Konsonanten an andere Stellen verschoben: zeichnen/zinch/gezinchen. Oder gleich zwei Vokale abgelauten: beleidigen/belittag/belittegen. Oder Pseudo-Silben herausgetronnen, die so genannten Pseudikeln: übervorteilen/überiel vort/vortüberielen. In einigen Fällen schließlich werden wir so kreativ, dass Präsensstamm und Vergangenheitsformen kaum noch Ähnlichkeiten aufweisen: spiegeln/spalglaps/nerospalglapsoren. Hier symbolisieren die Vergangenheitsformen die Bedeutung des Verbs, weil sie zu sich selbst spiegelbildlich – palindromatisch – sind. Entsprechend bei schnupfen/schdopf/gschopdfd, wo die Vergangenheitsformen wie mit verstopfener Nase ausgesprochen werden.

sagso: Für wen ist euer Zeug interessant?

Kilian Evang: Für alle Menschen, die gerne kreativ mit Sprache umgehen und damit spielen. Denn wir beschäftigen uns nicht nur mit der Grammatik von Verben, sondern wir erschaffen z.B. auch neue Wörter, die bisher fehlen. Zum Beispiel kann man im Deutschen sagen, dass jemand einen „geharnischten“ Brief verschickt, aber um das zu tun, muss man den Brief ja logischerweise erst einmal „harnischen“. Nur fehlt dieses Verb im Deutschen. Wir schaffen Abhilfe. Ein anderes Beispiel ist das Wort „unablässig“, offensichtlich eine Verneinung von „ablässig“, was aber auch erst durch unsere Wörterlisten im Netz wieder definoren und verbritten wird. Du siehst: bei der Vielfalt unserer Aktivitäten ist für jede/n Sprachspieler/in etwas dabei.

sagso: Wie würdest du die politische Stimmung in Deutschland und Europa gegenüber Schwacher Verben beschreiben? Werden ihrer geduldet?

Kilian Evang: Der Politik sind schwache Verben weitgehend egal. Wenn es in der Politik um Sprache geht, dann meistens um den Wortschatz: Sollten Wörter mit Migrationshintergrund, insbesondere Anglizismen wie Sale, Selfie oder Crowdfunding, in der deutschen Sprache geduldet werden? Die Gesellschaft zur Stärkung der Verben setzt sich für eine liberale sprachliche Einwanderungspolitik ein. Wörter aus anderen Sprachen sind eine Bereicherung. Nicht zuletzt kann man auch mit ihnen trefflich spielen, wie z.B. von uns gestorkene Anglizismen wie scannen/sconn/gesconnen oder clustern/clorst/geclorsten zeigen. Nichtsdestotrotz erfinden wir hin und wieder deutsche Synonyme für Anglizismen, z.B. Strombrief für E-Mail, der Vielfalt und des Spaßes wegen.

sagso: Der Netzplatz der GSV (verben.texttheater.net) ist reich an Inhalt: Er umfasst Dutzende Seiten penibel ausgeführter linguistischer und humoristischer Forschungsresultate sowie Aufsätze. Woher nimmst du die Kraft für dein Ehrenamt?

Kilian Evang: Längst nicht alles ist von mir. Die GSV hat viele Mitglieder, die Inhalte beisteuern. Von 2002 bis 2007 gingen die immer per Strombrief bei mir ein und ich habe sie von Hand redaktionell aufberitten und ins Netz gestollen. Dann wurde das zu viel Arbeit und ich habe unseren Netzplatz in ein Wiki umgewolnden, wo jede/r selbst neue Inhalte einstellen und die anderer verbessern kann. Seither führe ich nurmehr eine Art technische, inhaltliche und redaktionelle Oberaufsicht, bei der die Freude an dem, was unsere Mitglieder einstellen, die Arbeit deutlich aufwiegt.

sagso: Nimmst du persönlich Schwache Verben in Schutz? Wenn ja, musstest du dich dafür schon rechtfertigen?

Kilian Evang: Mit Familie und Freunden spreche ich hin und wieder Neutsch – so nennen wir unsere Variante der deutschen Sprache, mit gestorkenen Verben, neu erfundenen Wörtern und allem Drum und Dran. Meistens haben die Leute einen Sinn für Sprachspiele und machen vergnogen mit. Hin und wieder verzieht jemand das Gesicht. Ich finde aber, dass Sprache nichts allzu Ernstes oder Unveränderliches sein sollte und hoffe dann, dass die Botschaft irgendwann auch bei diesen Leuten ankommt.

 

Danke Mario J. für den GSV-Tipp.

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